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30.09.2020 / Ein Haus Erzählt

Die Obere Talstraße 2 als Heimat arbeitsamer Flüchtlinge ... Viele kennen mich noch als das Haus, in dem über viele lange Jahre der Gemüse- und Obstladen von Frau W. untergebracht war. Und inzwischen kennt man mich als das Haus, in dem immer wieder Flüchtlinge untergebracht sind.

Weiß eigentlich jemand, wie viele das bisher gewesen sind? Was aus ihnen geworden ist? Und dass sie inzwischen alle eine Arbeit gefunden haben? Und genau deshalb wieder bei mir ausgezogen sind?

Fangen wir doch mal mit der Familie N. aus Syrien an, die hier am Anfang eine Zeitlang bei mir gewohnt hat. Hussein arbeitet jetzt schon beinahe drei Jahre in einer Firma hier in Dietlingen in der Produktion. Und seine Frau Taiba hält Hühner, bewirtschaftet einen Teil des Pfarrgartens und ist übrigens diejenige, die letztes Jahr die Idee zur Gründung der Nähwerkstatt hatte. Eines der beiden Mädels besucht inzwischen die Realschule, ihr Deutsch ist so gut, dass niemand merkt, dass sie erst seit 2015 in Deutschland lebt.

 

  

Recht schnell hat uns Khourchid H. und seine Familie aus Syrien wieder verlassen, weil er eine Arbeitsstelle und Wohnung in Enzberg gefunden hat.

Zu derselben Zeit wohnte auch die syrische Familie R. bei mir. Samir hat eine Zeitlang als Verkaufsfahrer bei einem Lebensmittelgroßhändler gearbeitet, bevor er sich hier in Dietlingen bei einem Handwerksbetrieb im Baugewerbe selbst eine Arbeit organisiert hat. Das macht ja auch Sinn, weil er in seiner Heimat schon einige Jahre auf dem Bau gearbeitet hatte. Seine Frau Salam war übrigens die erste Frau unserer Kelterner Flüchtlinge, die den Führerschein gemacht hat!

Und dann waren da noch die aramäischen Familien aus dem Irak, die immer wieder gerne den Gottesdienst in der Andreaskirche besuchen. Da wohnte zum Beispiel Bashar K. mit seiner Frau Karmeen hier. Bashar war der erste junge Mann, der hier im Ort eine Ausbildung begonnen hat. Nach einem Praktikum hat er eine Ausbildung im Seniorenzentrum Keltern gemacht und arbeitet inzwischen in einem großen Pflegeheim in Langensteinbach. Wo er unter den BewohnerInnen genauso beliebt ist wie er es hier in Keltern war …

Genau wie seine Schwester Mareena, die ebenfalls eine Ausbildung in der Altenpflege gemacht hat. Als eine der besten in ihrer gemischten Klasse hat sie 2019 ihre Ausbildung beendet und arbeitet weiter in Pforzheim im Heim am Hachel. Über sie stand auch einmal ein Bericht in der Pforzheimer Zeitung, weil sie so gut in der Schule war und so beliebt bei KollegInnen und BewohnerInnen. Sie ist aber auch einfach eine sehr liebenswerte Persönlichkeit!

Petrous, der Schwiegervater von Bashar hat es 2019 tatsächlich geschafft, trotz seines Alters von fast 60 Jahren eine Vollzeitstelle bei einer Bäckerei in Remchingen zu finden, wo er immer um Mitternacht mit seiner Arbeit begann. Sie sind erst vor kurzem ausgezogen und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass es jeden Tag im Haus nach frisch gebackenem Brot oder Gebäck geduftet hat!

Aneeta, die jüngste Tochter von Petrous macht seit 2 Jahren eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten. Sie hat inzwischen die Führerscheinprüfung bestanden und sich mit ihrem Ausbildungsgehalt ein kleines Auto gekauft! Ich bin mir ganz sicher, dass sie auch ihre Ausbildung im nächsten Jahr schaffen wird!

Und da ist noch die junge syrische Familie D. mit ihren drei kleinen Mädels. Da Nihad in seiner Heimat Lehrer war, hat er schon früh damit begonnen, interessierten Leuten hier im Ort Arabisch beizubringen. Ehrenamtlich natürlich ... Da er schon früh sehr gut Deutsch sprach, setzt ihn das Gesundheitsamt seit fast 3 Jahren für psychosoziale Angebote ein, wo er nach einer entsprechenden Ausbildung erfolgreich Gruppenangebote für Landsleute leitet. Weil er aber davon nicht leben kann und wie viele andere hier auch sein Geld lieber selbst verdienen will, macht er zurzeit eine Weiterbildung in Mühlacker, damit er zukünftig als Erzieher arbeiten kann.

Seit ein paar Wochen ist es sehr ruhig geworden bei mir, die Familien sind ausgeflogen. Irgendwie vermisse ich sie alle. Wer wohl in Zukunft bei mir einziehen wird? Werde ich meine Erfolgsgeschichte weiterschreiben können? Ich bin gespannt und freue mich darauf!    

Idee / Text: Stefan Schröck / Stefan Vetter